(Nicht) Mein Staat!?

drObs September 2021

 

drObs September 2021

Lange musstet ihr durch die Sommerpause warten – nun gibt es ENDLICH wieder eine neue drObs! Im Monat der Bundestagswahl ist es – ihr ahnt es schon – wieder ein sehr politisches Heft geworden, jedoch nicht, ohne den sozialen Blickwinkel aufzugeben. In der letzten Folge unserer Interview-Reihe mit den Spitzenkandidat*innen der Bundestagsfraktionen übergeben wir Janine Wissler (LINKE) das Wort zu sozialpolitischen Fragen.  

 


Außerdem wenden wir uns einem Phänomen zu, das quasi im Kielwasser der Corona-Pandemie aktuell weltweit und auch in Deutschland zu massiven Problemen führt: die „Corohnungskrise“. Schützten zu Beginn der Pandemie noch Mietmoratorien vor dem Verlust der Wohnung im Falle einer durch Einkommensausfall bedingten Zahlungsunfähigkeit, laufen seit Ende letzten Jahres die Räumungsklagen auf. In Dresden stiegen die Anträge auf Wohnberechtigungsscheine und Wohngeld seit 2020 um bis zu 30, die Zuweisungen in eine Gewährleistungswohnung gar um 60 Prozent und verharren seither auf hohem Niveau. Parallel kommt der Sozialwohnungsbau nur langsam in Fahrt.

In unserer Titelgeschichte widmen wir uns dem Titelthema „(Nicht) Mein Staat?!“. Warum kündigen Menschen innerlich Staat und System und schaffen sich ihre eigene systemische Nische vom autonom besetzten Haus bis hin zur eigenen Mikronation? Egal, ob Selbstverwalter*innen, Reichsbürger*innen, Anarchist*innen oder Antideutsche – sie alle eint neben vielen teils gravierenden ideologischen Unterschieden das tiefe Misstrauen und die Ablehnung gegenüber dem demokratisch-marktwirtschaftlichen System des wiedervereinten deutschen Staates und seine offiziellen Vertreter*innen. Und doch gibt es Schnittmengen. Sebastian Trept, Dresdner Politikwissenschaftler und Reichsbürger*innen-Experte, erklärt, wie die eigene Lebenszufriedenheit und insbesondere Abstiegs- und Ausgrenzungserfahrungen, wie sie insbesondere im Osten Deutschlands viele Menschen nach der Wiedervereinigung erfahren haben, die innere Kündigung gegenüber Staat und Gesellschaft befördern. So zweifeln besonders im Osten mitunter Antideutsche wie Reichsbürger*innen gleichsam die Legitimität und Souveränität des vereinten Deutschlands mit der Begründung an, es sei die Fortführung des nationalsozialistisch-imperialistischen Dritten Reiches, das von den Protagonist*innen selbst abgelehnt wird. Auch Herr Frank, mit dem wir gesprochen haben, denkt so. Er hat deshalb mit Gleichgesinnten den „Bundesstaat Königreich Sachsen“ aus der Taufe gehoben, aus dem heraus überall auch rings um Dresden herum „Gemeinden“ entstehen, die sich zur Königlich Sächsischen Verfassung von 1831 be- und die bundesdeutsche Verfassung nicht anerkennen. Es ist jene Schnittmenge, die auch das Zusammengehen von oft auf den ersten Blick völlig unterschiedlichen politischen Lagern in verschwörungstheoretischen Bewegungen wie Pegida oder Querdenken ermöglicht, wo zum Teil offen Rechtsextreme neben ehemaligen SED-Kadern und ganz normalen Bürger*innen laufen.

Wir schauen uns außerdem mit einem Gastbeitrag der Stuttgarter Straßenzeitung „Trott-War“ an, wie das Projekt Duschbus für Obdachlose in Hamburg läuft, wo es durch einen ehemals selbst Obdachlosen 2019 initiiert wurde. In Dresden wird seit drei Jahren ergebnislos über einen Duschbus diskutiert – bereits dafür im Haushalt eingestellte Mittel sind inzwischen verfallen.

Und wir werfen einen Blick auf ein außergewöhnliches Projekt, das „Chancen für die Chancenlosen“ bietet: Arbeit, Tagesstruktur, Anerkennung für Menschen, die seit Langem auf der Schattenseite des Lebens stehen. DrObs-Verkäuferin Silvia hat es nun mit 60 Jahren sogar in eine Festanstellung gebracht – dem sozialen Arbeitsmarkt sei dank. An all ihre treuen Stammkund*innen: Keine Sorge, die drObs will Silvia nebenher weiter verkaufen. 😘