Von der Seele

drObs Dezember 2023 / Januar 2024

Dezember 2023
Weihnachten ist die Zeit der Besinnlichkeit, der Freude und des Familienglücks? Wir wünschen euch das für die kommenden Festtage von ganzem Herzen – doch das ist längst nicht die Realität für jeden Menschen. Für manche ist gerade die Advents- und Weihnachtszeit mit ihrem kulturellen Gebot der Glücksseligkeit eine ganz besonders schwere Zeit.

Einsame Menschen und solche mit seelischen Erkrankungen gehören dazu. In der Titelgeschichte unserer gestern erschienenen Dezember-Januar-Doppelausgabe unter dem Titelthema „Von der Seele“ lernt ihr den 16-jährigen John und seinen Vater Marco kennen. Beide haben eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung und weitere seelische Probleme. Statt eines liebevollen Familienlebens hat Marco in seiner Jugend Brutalität, Sucht und rechtsextremes Gedankengut vorgelebt bekommen. Zehn Jahre seines Lebens verbringt er als „untherapierbarer“ jugendlicher Intensivstraftäter mit schlechter Sozialprognose in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik. Danach gleitet er in Sucht und Wohnungslosigkeit ab. Erst vor sechs Jahren gelingt ihm der Absprung in ein geregeltes Leben mit Frau, Wohnung und Job – ohne Sucht, und ohne rechte Szene. Doch 20 Jahre nach seinen finstersten Augenblicken läuft nun sein 16-jähriger Sohn Gefahr, in die problematischen Fußstapfen seines Vaters zu folgen. John gilt als „Systemsprenger“, wird seit seinem 3. Lebensjahr von einer Einrichtung der Jugendfürsorge in die nächste geschoben, wird auch zu Hause gewalttätig. Auf seine ADHS-Problematik ist keine davon wirklich eingestellt. Vater Marco fürchtet inzwischen nicht nur um die Zukunft, sondern auch um das Leben seines Kindes. Er bekennt: „Dieses Leben, das ich geführt habe, hat die Weichen für sein Leben gestellt.“

In einem zweiten Schwerpunkt begegnet ihr Nico, der schon in jungen Jahren die Diagnosen Depression und narzisstische Persönlichkeitsstörung erhielt und nach der Wende in die Alkoholsucht abglitt, die ihn bis in die Wohnungslosigkeit trieb. Seit 20 Jahren ist Nico inzwischen „trocken“, arbeitet ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof. Sowohl ADHS als auch narzisstische und antisoziale Persönlichkeitstörungen bringen eine hohe Suchtgefährdung sowie ein hohes Risiko sozialen Scheiterns mit sich.

In unserem Neujahrsinterview nimmt nach einem Jahr unfreiwilliger Pause erstmals wieder Sozialbürgermeisterin Kristin Klaudia Kaufmann (Linke) Stellung – und spricht von einer „krisenbehafteten Wohnraumsituation“. Nie mussten so viele Wohnungslose von der Stadt untergebracht werden, die in Dresden keine (bezahlbare) Wohnung mehr finden. Auch Normalverdienende stehen inzwischen vor großen Problemen. Kaufmanns bitteres Fazit: Einfache Lösungen gibt es nicht. Auch die jüngst zurückgekauften Vonovia-Wohnungen werden kurzfristig an der Lage nichts ändern. Ein düsterer Ausblick ins Jahr 2024.